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Der Bernsteinwerfer

Quelle: "Meeresleuchten" von Jürgen Rust

 

Über der Ordinger Sandbank flimmert die Julihitze und malt Hunderte von bunten Fata Morganas in die Luft. Auf der „Silbermöwe" herrscht jetzt, während der quirligen Mittagszeit, Hochbetrieb.

 Ein Gast allerdings sitzt schon seit dem Frühstückskaffee in der Nordwestecke der Terrasse, wo er mit ein paar Stuhlbewegungen der Sonne nachücken kann und wo es fast immer windgeschützt ist. Er trägt eine rote Baseballmütze mit dem Schirm nach hinten, Sonnenbrille, T-Shirt und Bermuda-Shorts. Hin und wieder blättert er in einer Zeitschrift, hauptsächlich aber mustert er die Restaurantgäste oder beobachtet durch die salz-verkrusteten Scheiben das Treiben am Strand. Er nimmt gerade einen Zug aus dem Bierglas, als eine sandverklebte Kleinfamilie seinen Tisch ansteuert.

 „Ist hier noch frei?"

 „Ja, bitte!"

 Die Ankömmlinge setzen sich. Die Mutter, in farbsicherer Strandcombi aus pink-schwarzer Radlerhose und Schottenmusterbluse, haut dem

 stppelhaarigen Junior erst einmal eine vor den Latz, als der seine sandgefüllten Basketballstiefel überm Tisch entleert:

 Paß doch auf, du Schwein!"

 Und zum Rotmützigen gewandt, mit einer blitzartgen Wendung ins Freundliche:

 „Entschuldigen Sie!"

 Der Angesprochene lächelt säuerlich:

 „Schon gut!"

 Offensichtlich hätte er dem Schwein von Junior am liebsten auch noch eine verpaßt.

 Die Kellnerin, die auf raschen Gästedurchlauf achtet, bringt gleich drei Speisekarten und fragt nach den Getränken. Der Vater - quittengelbes Fußballtrikot vom FC Laubenpieper, pralle Badehose und ausgelatschte Holzklappern - bestellt:

 „Een Bier vom Faß, wa, een Wassa und 'n jroßen Spezi!"

 Nachdem sich die drei zurechtgeräkelt haben, vertiefen sie sich in die Speisekarten.

 „Is in det Rumsteak eijentlich Rum drin, Mama?"

 „Quatsch! und kannst vielleicht mal uff de Preise kieken, du kriegst höchtens een Schweinesteak, det paßt sowieso bessa zu dir!"

 Der Vater schaut auf und spricht sein Gegenüber an:

 ,Wat haben Sie jejessen?"

 Der antwortet beiläufig:

 „Stammessen! Mehr zahlt die Kurverwaltung nicht!"

 Der Berliner faßt sofort Vertrauen:

 „Arbeiten bei die Jemeinde, wa?"

 „Nicht direkt, eher freiberuflich."

 Jetzt kommt die Bedienung und nimmt die Essensbestellung auf.

 „Ick will lieba Klöpse!" mault der Junior.

 „Also jut, zweemal Matsches, eenmal Klöpse", sagt der Vater, und wieder an den Einheimischen gewandt:

 „Freiberuflich?"

 „Ich bin Bernsteinwerfer."

 „Aha!"

 Das Trio schweigt, aber man merkt förmlich, wie es in den drei Köpfen rumort. Als erster traut sich Junior, nachzufragen:

 „Papa, wat is'n Bernsteinwerfer?"

 Der Vater muß widerwillig Farbe bekennen:

 „Ick hab det mal jewußt..."

 Die Mutter will ihm beispringen:

 „Bernsteinschleifer, oda wat sagten Se?"

 „Bernsteinwerfer."

 „Nee", zuckt sie die Achseln, „det weeß ick jetzt nich!"

 Die Getränke werden gebracht. Junior stürzt japsend den ganzen Spezi herunter und fängt sich gleich wieder eine von seiner Mutter ein:

 „Du säufst schon wie dein Alter!"

 Damit hat sie ohne Zweifel recht, denn der hat sein Bierglas auch in einem Zug leegemacht und verkündet:

 „Puh, det tut jut bei die Hitze!"

 Der Einheimische nickt freundlich:

 „Am schönsten ist es frühmorgens hier am Strand, ganz milde Luft, herrlich!"

 ,Wann stehen Se denn uff?"

 „So vier, halb fünf."

 „Ach, und wat machen Se denn?" will die Mutter wissen. Ihr Gegenüber setzt sich auf und geht in einen geschäftsmäßigen Tonfall über:

 „Bernsteinwerfen, wie gesagt, hier den ganzen Ordinger Strand lang, jeden Morgen, gleich nach den Reinigungskolonnen."

 Er greift in die Hosentasche und läßt eine Handvoll kleiner Bernsteine auf den Tisch rollen.

 „Ooh!" entzückt sich die Mutter und hebt einen der Steine vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger gegen die Sonne.

 "Vielleicht sind da ja Dinosaurierjene drin, hähähä!" meldet sich Junior.

 Die Mutter fragt:

 „Haben Se die alle selba jefunden?"

 „Nein, die stammen von irgendeiner Deichbaustelle, da brauchen Sie nur ein Sieb vor das Spülrohr halten, dann haben Sie gleich ein paar Kilo."

 „Det is ja echt interessant", mischt sich der Alte wieder ein, „ und wat machen Se damit?"

 „Jeden Morgen auswerfen, für die Urlauber, Ser­vice von der Kurverwaltung!"

 Der Berliner stutzt:

 ,Wat, det jloob ick aba nich, so teure Dinga eenfach so...!"

 „Im Sommerhalbjahr, wenn die großen Stürme fehlen, findet man ja keinen Bernstein hier!"

 Der Berliner wendet sich trumphierend an seine Frau und meint:

 „Det woll'n ma doch mal seh'n! Eise, zeig doch den Herrn mal, wat du vorjestern da hinten bei die FKK-ler jefunden hast!"

 Eise klappt lächelnd ihr Portemonnaie auf und holt einen Bernsteinwinzling heraus.

„Darf ich mal sehen?" fragt der Bernsteinwerfer und läßt ihn sich geben. Er betrachtet ihn eingehend, wobei er ihn fachmännisch im Sonnenlicht hin- und herdreht. Das Trio platzt vor Spannung. Dann der trockene Kommentar:

 „Stammt aus der Mittwochladung, da hatt' ich so'n Haufen Kleingehacktes!"

 Während die Familie Matjes und Klopse verdrückt, erzählt der Bernsteinwerfer ausführlich von seinem Job, wie wichtig es für das Image St. Peter-Ordings wäre, daß jeder Sterbliche hier seinen Bernstein finden könne, ein schöneres Andenken gäbe es nun einmal nicht, die Kurverwaltung folge nur dem Erlebnisdrang der Urlauber, jeden Morgen ein paar Tüten Bernstein auf die Strände, soviel müssen einem die Gäste schon wert sein.

 Die Zwischenfrage, ob das denn noch kein Urlauber gemerkt habe, scheint für den Bernsteinwerfer eine halbe Beleidigung zu sein. Er sammelt den Bernsteinhaufen vom Tisch, verstaut ihn in seiner rechten Faust und deutet einen lässigen Armschwung an.

 „Bei meiner Wurftechnik können Sie direkt neben mir gehen und würden nichts mitkriegen. Wissen Sie, ich mach das jetzt fünfzehn Jahre..."

 In den Gesichtern der Berliner spiegelt sich ein Anflug von Respekt. Als die Kellnerin die Teller abräumt, bestellt der Vater für den Bernsteinwerfer ein Bier mit.

 „Das hätte aber nicht nötig getan!" will dieser abwehren.

 „Doch, doch, det is mal wirklich een duftet Jespräch, da hörste mal, wat hinta die Kulissen so abjeht, aba total interessant, wa!"

 Und während der Bernsteinwerfer noch jede Menge Details aus seiner geheimen Tätigkeit zum besten gibt, zum Beispiel von den hohen Verlusten durch Möwenklau oder von dem Strandjogger, der einen Bernstein in seinem Turnschuh fand, leeren sich allmählich die Gläser der spendierten Runde. Neue Gäste stauen sich am Eingang. Die Kellnerin mahnt sanft aber bestimmt zum Stuhlwechsel und kassiert ab. Nur der Bernsteinwerfer scheint unbehelligt zu bleiben. Beim Gehen meint der Berliner noch halblaut:

 ,Wir haben unsere Burg bei die jrüne Fahne da."

 Er fuchtelt über die Glasballustrade Richtung Norden.

 ,Wenn Se da morjen vielleicht mal 'ne Prise mehr streuen würden, wenn det möglich wäre..."

 Der Bernsteinwerfer winkt entschieden ab und beugt sich mit ernstem Gesicht vor:

 „Das kann ich nicht machen, bei aller Freund­schaft, das wäre ja Betrug!"

 Verständnisvoll nickend zieht das Trio von-dannen. Die Kellnerin stellt die Stühle für die näch­ste Gästeschicht zurecht und meint leise zum Bernsteinwerfer:

 „Es nahen die nächsten Opfer. Wie war's dies­mal mit Möwendompteur, die Nummer hast du

 lange nicht mehr gebracht!"

 Der Rotmützige grinst und lehnt sich zurück in die Sonne.

 „Ist hier bei Ihnen noch frei?"

 „Ja, bitte!"

 

 

Quelle:  "Merrsleuchten" von Jürgen Rust

 Erschienn im Cobra-Verlag Husum 1995

 

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